Es gibt Aufstellungsmomente, die für den sogenannten Fokus – so nenne ich den Stellvertreter für meinen Kunden – und die Beziehungsklärung mit einem Menschen aus seiner Ursprungsfamilie so schwer, so belastet sind, dass eine wichtige Intervention nötig werden kann:

Ich zeige dem Fokus das Licht, die Seele, das nicht gelebte Potenzial der anderen Person.

Ich zeige es auch dann – und gerade dann ist es oft dienlich –, wenn die andere Person sehr, sehr viel Schuld gegenüber dem Fokus, also eigentlich meinem Kunden, aufgeladen hat. Eine große Täterschuld: Missbrauch, Gewalt, schwere Familiengeheimnisse …

Ich zeige dann die Seele dieses Menschen, das Licht.
Taten, die absolut nicht gutzuheißen sind, und die Seele dieses Menschen – beides.

Aufstellungsarbeit Täter Dynamik Augsburg

Warum sollte man jemandem, der so viel Leid gebracht hat, überhaupt Licht zugestehen?

Vielleicht kann man im Alltag kaum glauben, dass dieser Mensch eine Seele hat. (Gut – manche Wesen hier auf der Erde haben das wirklich nicht, aber das ist ein anderes Kapitel.)

Doch genau darin liegt eine der tiefsten systemischen und integralen Interventionen:
Sie trennt nicht – sie öffnet.
Und sie heilt, ohne zu verharmlosen.

Warum ich manchmal in Aufstellungen das Licht eines Täters zeige

In der systemischen Arbeit ist der Täter nie nur Täter – und das Opfer nie nur Opfer.
Beide sind Teil eines größeren Feldes, in dem sich Erfahrungen verdichten.

Die Intervention, das Licht eines belastenden Repräsentanten zu zeigen, hat nichts mit Entschuldigung zu tun. Sie bedeutet, dass wir den Menschen von seiner Tat unterscheiden.

Aus integraler Sicht sprechen wir hier vom Erkennen der Essenz jenseits der Form.
Das Licht steht für das unzerstörbare Potenzial jeder Seele – jenes innere Strahlen, das bleibt, auch wenn das Leben selbst dunkel war.

Die Seele, die sich diesen individuellen Körper ausgesucht hat, um diese Erfahrung zu machen – und das gilt für jeden von uns –, hat sich in der Regel bewusst dieses Ticket der jetzigen Erdinkarnation gewählt. Ohne Tätererfahrung keine Opfererfahrung – und umgekehrt.

Und das ist keine Absolution für die Taten des Täters.
Das ist keine Dekonstruktion des Opfers.
Das ist kein Entschuldigen und kein Entlassen aus der Verantwortung.

Es ist kein spirituelles Bypassing – kein „Satsang-Trick“ im Sinne von: „Was hast du denn mit deinem Leid, hier ist doch eh niemand.“
Das ist nicht mein Ansinnen.
Es geht darum, den Raum dahinter zu öffnen – trotz und gerade mit allem, was an Leid erfahren wurde.

Diese Perspektive ist kein Trostpflaster.
Sie ist eine tiefe, seelische Ordnung:
Jeder bleibt Mensch – auch der, der schuldig geworden ist.

Und das System kann erst dann Frieden finden, wenn wir auch das Dunkle wieder in den Kreis stellen – es sehen als das, was es ist.

Das Zeigen der Seele ermöglicht den Raum, dass auch dies dazugehört. Es muss nicht mehr abgetrennt werden, ausgeschnitten aus dem Leben.

Eines der systemischen Prinzipien lautet: Alles gehört dazu.
Die Kraft aufzuwenden, etwas aus dem Leben heraushaben zu wollen, ist meist der größere Energieräuber.

Das Heilsame an dieser Haltung

Wenn der Fokus das Licht – die Seele – des Täters sieht, geschieht etwas Paradoxes:
Er erkennt, dass er selbst nicht nur Opfer ist.
Dass er sich nicht länger über das Leid definieren muss.

Damit beginnt die Bewegung aus der Verstrickung heraus.
Die Energie im System verändert sich.
Der Täter verliert seine Übermacht.
Das Opfer gewinnt an Würde, an Kraft, an neuer Wirksamkeit.

Heilung geschieht nicht, weil etwas „gut“ wird – sondern weil alles gesehen wird.

Integraler Blick: Bewusstsein und Grenzen

Diese Intervention erfordert ein hohes Maß an Bewusstsein – und Reife in der Begleitung.
Auf einer blauen oder orangen Werteebene (Spiral Dynamics) erscheint sie oft als Provokation: „Man darf doch nicht einfach vergeben!“

Doch auf grüner, gelber oder türkisfarbener Ebene entsteht das Verständnis, dass Mitgefühl und Grenzen zugleich existieren können.

Und gerade hier liegt die Verantwortung des Aufstellungsleiters:
Niemals darf diese Intervention dazu führen, dass eine retraumatisierende Nähe hergestellt wird.

Es geht nicht darum, dass Täter und Opfer sich wieder in die Augen schauen oder „sich lieben“.
Oder dass der Täter in Form des Repräsentanten einen Schritt auf den Fokus – also meinen Kunden – zugeht.

Hier darf der Fokus jede Grenze ziehen – und erleben, dass diese Grenzen eingehalten werden.

Ein Bild von „Alles ist jetzt Friede, Freude, Eierkuchen“ wäre gefährlich, übergriffig, systemisch falsch.

 

Manchmal ist das Größte, was möglich ist, der klare Satz:

„Dir verdanke ich mein Leben – und jetzt gehe ich meinen eigenen Weg.“
„Auch dieses harte Schicksal gehört zu mir und macht mich mit aus.“

Das ist Würde.
Keine Versöhnung auf Kosten des Schutzes, sondern Anerkennung dessen, was ist.

Was wir im Alltag daraus lernen können

Auch außerhalb einer Aufstellung kann uns diese Haltung begleiten:

  • Wo halte ich jemanden nur in seiner Dunkelheit fest – und was ermögliche ich mir dadurch selbst nicht?
  • Wie viel Energie halte ich dadurch wie gefroren im System, die mir dann nicht für meinen eigenen Weg zur Verfügung steht?
  • Wo vergesse ich, dass auch ich Licht und Schatten in mir trage – und selbst viele Inkarnationen erlebt habe, in denen ich Opfer und Täter war?
  • Wo kann ich Mitgefühl empfinden, ohne Grenzen aufzugeben?

Das Licht zu sehen bedeutet nicht, blind zu werden.
Es bedeutet, mit offenem Herzen hinzuschauen – und das Menschliche zu erkennen, selbst wenn das Geschehene unentschuldbar bleibt.

Diese Haltung des Beides kann inneren Frieden bewirken und auf einer anderen Ebene frei machen –
ohne Verdrängen, ohne Vergessen, sondern durch Erkennen.

Ich kenne diese Bewegung auch in mir.

In meiner Familie gab und gibt es Licht und Schmerz, Nähe und Bruch. Es gab Täter und das Verschweigen von Tätern. Es gab sehr viel Missbrauch und einen Deckel des Schweigens und es gab Menschen, die vieles davon wussten, aber nicht geholfen haben.

Auch bei mir gehören heute alle dazu, alle! – selbst jene, zu denen ich keinen Kontakt habe.

Ich trage sie in meinem Herzen, aber ich teile nicht mit jedem meinen Alltag.

Das ist meine Form, das Leben zu ehren – mit Grenzen und mit Liebe zugleich.

Fazit – Würde im Angesicht des Unfassbaren

Wenn wir das Licht eines Täters sehen, ehren wir nicht seine Taten –
sondern das Leben selbst.

Wir ehren, dass alles, was war, uns geformt hat.
Dass wir leben – trotz allem.

Diese Haltung lässt das System atmen.
Sie öffnet Raum für Würde, wo zuvor nur Schmerz war.
Und sie erinnert uns daran: Heilung beginnt nicht im Urteil, sondern in der Klarheit des Herzens.

 

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